Ist Penisneid eine echte Sache?
SOPHIA VAN DEN HOEK/Stocksy

„Penisneid“, ein Begriff, der im vorigen Jahrhundert vom etwas kontroversen Psychoanalytiker Sigmund Freud geprägt wurde, hat mittlerweile eine sehr vielfältige Bedeutung.

Kein Wunder also, dass es Unklarheiten über die tatsächliche Definition und die Frage gibt, ob das Konzept auf die moderne Gesellschaft anwendbar, geschweige denn real ist.

Was bedeutet Penisneid überhaupt?

Die ursprüngliche – und Freudsche – Definition von Penisneid ist das Sehnsuchtsgefühl, das junge Menschen, die bei der Geburt als weiblich bezeichnet werden, erleben, wenn sie feststellen, dass sie keinen Penis haben – sondern nur eine „atrophische“ Version in Form einer Klitoris.

Mit anderen Worten, sie sind neidisch auf die Genitalien, die Menschen haben, die bei der Geburt als männlich gelten (AMAB). Sie streben danach, einen Penis zu besitzen, und sind schließlich zufrieden, wenn sie auf andere Weise Zugang zu einem Penis haben, beispielsweise durch heterosexuelle Aktivitäten.

Woher stammt das Konzept?

Freud veröffentlichte das Konzept des Penisneids erstmals im Jahr 1908 und erwähnte es im Laufe seiner Karriere mehrmals.

Es bildete einen wesentlichen Teil seiner Theorie der psychosexuellen Entwicklung.

In dieser Theorie argumentierte er, dass Penisneid für die Entwicklung einer weiblichen Geschlechtsidentität und Sexualität notwendig sei.

Er sagte, dass alle Kinder ein „phallisches Stadium“ durchlaufen, in dem sie auf ihren Penis oder dessen Fehlen fixiert werden.

Laut Freud haben AFAB-Leute eine angeborene Bindung zu ihren Müttern, entwickeln jedoch einen Groll gegen sie, nachdem sie ihre Mütter für ihre „Kastration“ verantwortlich gemacht haben.

Dann werden sie besessen davon, ihren Vater zu besitzen, und entwickeln unbewusst sexuelle Gefühle ihm gegenüber.

Danach bauen AFAB-Leute eine weitere Bindung zu ihrer Mutter auf, da sie ihre Liebe nicht verlieren wollen.

Sie imitieren die traditionellen weiblichen Handlungen ihrer Mutter und erkennen schließlich ihre Sexualität, indem sie ihr Verlangen nach ihrem Vater gegen ein Verlangen nach anderen Männern austauschen.

Dieser gesamte Prozess wurde dank seines Psychoanalytikerkollegen Carl Jung als Electra-Komplex bekannt.

Er dachte, es handele sich um die weibliche Version von Freuds Ödipuskomplex, der die Anziehungskraft eines jungen Mannes auf seine Mutter und die Eifersucht auf seinen Vater beschreibt.

Allerdings widersprach Freud dieser Bezeichnung, da er glaubte, dass es viele Unterschiede zwischen der psychosexuellen Entwicklung von Männern und Frauen gebe.

Wie könnte das aussehen?

Glaubt man Freuds Theorie, beginnt Penisneid typischerweise mit Neidgefühlen und dem Wunsch, die Vorteile eines Penis zu erleben.

Auch das Gefühl, feindselig gegenüber der Mutter zu sein und auf den Vater fixiert zu sein oder sich möglicherweise sexuell zu ihm hingezogen zu fühlen, soll ein häufiges Merkmal sein.

Ebenso Heterosexualität und Kinderwunsch.

(Freud glaubte sogar, dass Frauen sich nach einem männlichen Kind sehnen, damit sie endlich einen Penis bekommen können.)

Laut Jung kann es sein, dass manche Menschen diese Phase nicht durchlaufen oder in einem späteren Alter dorthin zurückkehren, weil sie eine lang anhaltende sexuelle Anziehung zu einem Elternteil verspüren.

Und manche, so Freud, könnten den Penisneid möglicherweise nicht überwinden und ihre sexuellen Wünsche ganz unterdrücken.

Kann das jemand erleben?

Nach Freuds Ansicht konnten Penisneid nur weibliche Kinder erleben – normalerweise im Alter zwischen 3 und 6 Jahren.

Aber mit modernerer Denkweise ist es möglich, dass jeder ohne Penis neidisch auf die Privilegien ist, die denjenigen gewährt werden, die einen haben.

Gibt es eine „gegenteilige“ Version davon?

Eine der größten Kritikerinnen Freuds, die Psychoanalytikerin Karen Horney, entwickelte das Konzept des „Gebärmutterneids“.

Sie sagte, dass Männer neidisch auf die biologischen Fähigkeiten von Frauen seien, etwa auf die Fähigkeit, Kinder zu bekommen und zu stillen.

Woher wissen Sie, ob es etwas ist, das Sie durcharbeiten müssen?

Freuds Idee wird in der modernen Psychologie selten verwendet, sodass Sie wahrscheinlich nicht allzu viel über Penisneid nachdenken müssen. (Mehr dazu weiter unten.)

Wenn Sie sich jedoch auf ein bestimmtes Körperteil fixiert fühlen oder sich wegen Ihrer Sexualität (oder dem Mangel daran) Sorgen machen, kann Ihnen eine Beratung oder Therapie dabei helfen, mit Ihren Gefühlen umzugehen.

Wie könnte es sich langfristig auf Sie auswirken?

Laut Freud würden Menschen, die Penisneid verspürten, im Allgemeinen eine weibliche Geschlechtsidentität annehmen und sich der Heterosexualität zuwenden, indem sie sexuelle Beziehungen mit Menschen des anderen Geschlechts eingehen.

Aber einige, die nicht in der Lage sind, diese Phase zu überwinden, meiden möglicherweise sexuelle Aktivitäten, damit sie nicht an das Problem erinnert werden, sagte er.

Es ist auch möglich, dass die Besessenheit von einem Körperteil zu einem psychischen Problem wie einer körperdysmorphen Störung führen kann.

Gibt es Kritikpunkte oder Einschränkungen, die berücksichtigt werden müssen?

Viele Experten haben Freuds Konzept kritisiert und argumentiert, dass es kaum Beweise dafür gibt, dass Penisneid überhaupt existiert.

Indem er feststellte, dass alle Frauen von Natur aus einen Penis wünschen, ging Freud von der Annahme aus, dass eine weibliche Identität nur durch die Augen der Männlichkeit erreicht werden kann.

Das sei eine sexistische, frauenfeindliche Annahme, behaupten diejenigen, die mit seinen Ideen nicht einverstanden sind.

Andere Kritiker haben darauf hingewiesen, dass Freud mehrere andere Entwicklungsfaktoren wie das Selbstbewusstsein nicht berücksichtigt und sich nur auf Sexualität und Anatomie konzentriert habe.

Wie hält sich dieses Konzept heute?

Die traditionelle Definition von Penisneid hat in der modernen Gesellschaft kaum oder gar keine Bedeutung.

Kritiker bezeichnen die Theorie als „veraltet“, weil sie sich auf „jahrhundertealte Geschlechterrollen“ stützt, und als heteronormativ, weil sie davon ausgeht, dass ein Kind einen männlichen und einen weiblichen Elternteil braucht, um sich „normal“ zu entwickeln.

Untersuchungen haben außerdem herausgefunden, dass die Geschlechtsidentität bereits im Alter von drei Jahren festgelegt werden kann. Daher gehen Experten davon aus, dass Freuds Penisneid bei der Entstehung der Weiblichkeit keine zentrale Rolle spielt.

Heutzutage werden jedoch modernere Interpretationen des Penisneids verwendet – dass Frauen aufgrund der kulturellen und gesellschaftlichen Macht der Männer männliche Merkmale beneiden könnten.

Gibt es andere Theorien, die berücksichtigt werden sollten?

Freuds starre Fokussierung auf den menschlichen Körper und die Sexualität ermutigte andere wie Horney und Clara Thompson, die feministische Psychologie zu entwickeln.

Sie argumentierten, dass Penisneid zwar existieren könne, dass es sich dabei jedoch eher um den Neid der Frauen auf den sozialen Status des Mannes als um den Neid auf das Sexualorgan selbst handele.

Tatsächlich, a Studie von 1981 Eine Untersuchung der Träume von Frauen aus 20 Kulturen ergab, dass „je höher die soziale Stellung dieser Frauen war, desto weniger manifestierten sie Penisneid-Fantasien in ihren Träumen.“

Es ist möglich, dass sich jüngere Frauen irgendwann in ihrer Kindheit einen Penis wünschen.

Aber auch hier handelt es sich wahrscheinlich um Neid auf die Vorteile, die ein solches Gerät mit sich bringt.

Transgender-Männer verspüren möglicherweise auch Penisneid, da sie neidisch auf die Art und Weise sind, wie Cisgender-Männer durch bestimmte Umgebungen wie Toiletten huschen können.

Das Endergebnis

Freuds Penisneid-Idee ist seit seiner Veröffentlichung heftig umstritten. Das heißt aber nicht, dass Teile davon nicht existieren.

Viele moderne Experten verwenden es lieber als Metapher für die Art und Weise, wie Cisgender-Frauen oder Transgender-Männer gegenüber Cisgender-Männern und ihrer wahrgenommenen Macht und ihrem Status in der Gesellschaft empfinden.


Lauren Sharkey ist eine in Großbritannien ansässige Journalistin und Autorin, die sich auf Frauenthemen spezialisiert hat. Wenn sie nicht gerade versucht, einen Weg zu finden, Migräne zu verbannen, findet sie Antworten auf Ihre lauernden Gesundheitsfragen. Sie hat außerdem ein Buch geschrieben, in dem sie junge Aktivistinnen auf der ganzen Welt porträtiert, und baut derzeit eine Gemeinschaft solcher Widerstandskämpferinnen auf. Fang sie an Twitter.